DGFIT auf dem 29. Urologischen Winterworkshop in Leogang/Österreich
Die Veranstaltung eines Satellitensymposiums durch die DGFIT im Rahmen des alljährlichen Urologischen Winterworkshops in Leogang/Österreich hat schon lange Tradition. Auch in diesem Jahr präsentierten hochkarätige Referenten/innen therapeutische und diagnostische Innovationen. Das Symposium fand unter der Leitung von Prof. Dr. Christian Doehn, Lübeck, Prof. Dr. Michael Siebels, München und Prof. Dr. Dominik Rüttinger, Penzberg statt.
Im Rahmen der Veranstaltung wurde auch der jährlich ausgeschriebene Wissenschaftspreis der DGFIT an Prof. Dr. med. Sebastian Kobold, München verliehen.
Weitere Informationen Urologischer Winterworkshop
Zusammenfassung Vorträge:
Prof. Dr. Christian Doehn, Urologikum Lübeck: S3-Leitlinie Nierenzellkarzinom: Wie geht Systemtherapie im Jahr 2020?
Derzeit sind 16 Medikamente aus 4 Substanzgruppen zur Therapie des metastasierten Nierenzellkarzinoms zugelassen. Die meisten Vertreter gehören zu den Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKI). Neue immunonkologische Ansätze beinhalten insbesondere antikörperbasierte Strategien. Von den wohl in mindestens dreistelliger Zahl vorliegenden Checkpoints auf der Oberfläche von Immun- und Tumorzellen (u.a.) spielen beim Nierenzellkarzinom die antikörper-vermittelte Checkpoint-Inhibitoren (CPI) von PD-1 (z.B. Nivolumab, Pembrolizumab), PD-L1 (z.B. Avelumab) sowie CTLA-4 (z.B. Ipilimumab) derzeit die größte Rolle.
Verschiedene klinische und laborchemische Parameter erlauben eine Aussage zur Prognose des Patienten mit metastasiertem Nierenzellkarzinom. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf das Gesamtüberleben (overall survival, OS), weniger für das progressionsfreie Überleben (progression-free survival, PFS) und gar nicht für das Ansprechen (response rate, RR). Im MSKCC-Score (auch Motzer-Score) werden die Parameter Allgemeinzustand, Zeit von Diagnose bis zur Therapie (von Metastasen), Hämoglobin, Laktatdehydrogenase und korrigiertes Kalzium betrachtet und für jedes abnorme Ergebnis ein Punkt verteilt. Eine gute, intermediäre und schlechte Prognose (im Hinblick auf das OS) wird angenommen bei 0 Punkten, 1-2 Punkten bzw. 3 und mehr Punkten. Im IMDC-Score (auch Heng-Score) werden die Parameter Allgemeinzustand, Zeit von Diagnose bis zur Therapie (von Metastasen), Hämoglobin, korrigiertes Kalzium, neutrophile Granulozyten und Thrombozyten betrachtet und für jedes abnorme Ergebnis ein Punkt verteilt. Eine gute, intermediäre und schlechte Prognose (im Hinblick auf das OS) wird angenommen bei 0 Punkten, 1-2 Punkten bzw. 3 und mehr Punkten. In den Studien der letzten Jahre wurden die o.g. Scores und auch die jeweiligen Risikogruppen in unterschiedlicher Weise verwendet. Teilweise sind diese Aspekte auch in den Zulassungstext übernommen worden. Das genannte Vorgehen erschwert den Vergleich verschiedener Studien.
Im Jahr 2019 wurden drei Kombinationstherapien zur Erstlinientherapie des metastasierten Nierenzellkarzinoms zugelassen: die Kombination aus Nivolumab und Ipilimumab, die Kombination aus Pembrolizumab und Axitinib und Kombination aus Avelumab und Axitinib. In allen genannten Kombinationstherapien wurde in den zugehörigen Studien gegen Sunitinib geprüft.
Am 22.3.2020 – also 4 Wochen nach der Tagung in Leogang – wurde die Konsultationsfassung der S3-Leitlinie Nierenzellkarzinom vorgestellt. Vorbehaltlich eventueller Änderungen in der finalen Fassung, wird als Standardempfehlung für Patienten mit guter Prognose nach Heng (etwa 20% aller Patienten) die Kombination aus Pembrolizumab und Axitinib ausgesprochen. Patienten mit intermediärer Prognose (etwa 60% aller Patienten) oder schlechter Prognose (etwas 20% aller Patienten) sollen die Kombination aus Nivolumab und Ipilimumab oder die Kombination aus Pembrolizumab und Axitinib erhalten. Die dritte zugelassene Kombination (Avelumab und Axitinib) ist aufgrund noch „unreifer“ Daten für das Gesamtüberleben derzeit nicht genannt. Bei fehlender Eignung für eine Kombinationstherapie, sollen bei Patienten mit guter Prognose Bevacizumab und Interferon oder Pazopanib oder Sunitinib oder Tivozanib zum Einsatz kommen. Bei Patienten mit intermediärer oder schlechter Prognose sollte Cabozantinib eingesetzt werden. Alternativ hierzu kann auch Temsirolimus verwendet werden.
Für den Fall einer Vorbehandlung mit einem TKI oder Bevacizumab und Interferon bleibt die bisherige Zweitlinienempfehlung für Nivolumab oder Cabozantinib bestehen. Alternativ kann die Kombination aus Lenvatinib und Everolimus eingesetzt werden. Nach Verwendung einer Kombinationstherapie im Erstlinienansatz, ist kein Standard etabliert. Es sollte daher mit einem TKI, der bisher nicht zum Einsatz gekommen war, weiterbehandelt werden. Für eine Drittlinientherapie ist kein Standard etabliert.
Bei aller Euphorie über die Ergebnisse der genannten Kombinationsstudien (CPI+CPI oder CPI+TKI) muss beachtet werden, dass die Anzahl Grad3/4-Nebenwirkungen höher ist als bei einer CPI-Monotherapie. Ebenso können sich neue therapeutische Herausforderungen im Nebenwirkungsmanagement ergeben. Als Beispiel sei genannt: TKI-bedingte Diarrhoe vs. CPI-bedingte Diarrhoe vs. Kombination aus beiden Ursachen.
Zukünftige Aktivitäten müssen weiterhin Antworten auf die folgenden Punkte liefern: Patientenselektion, Biomarker, (bildgebende) Bewertung des Therapieansprechens und Nebenwirkungsmanagement.
Dr. Clemens Linné, Dresden: Immunonkologie in der urologischen Praxis – was geht?
Die Immunonkologie hat in der Therapie urologischer Tumorerkrankungen in den letzten 4 Jahren eine im erweiterten Sinne fulminante Wiederkehr erlebt und ist heute aus den systemischen Behandlungsoptionen bei metastasierten Nierenzellkarzinom oder Urothelkarzinom nicht wegzudenken. Insbesondere Kombinationen mit verschiedenen Wirkmechanismen spielen bei der NCC-Therapie aktuell in der Erstlinie eine tragende Rolle. Für den niedergelassenen Urologen ergibt sich damit ein erweitertes Arbeitsfeld und eine neue Herausforderung.
Neben der leitliniengerechten Auswahl der entsprechenden Therapie bzw. Therapiekombination stellt sicher eine qualifiziertes Nebenwirkungsmanagement einen wichtigen Faktor bei einer guten Patientenbetreuung dar. Die intravenöse Applikation der heute zur Verfügung stehenden Immunmodulatoren stellt bei zumeist feststehenden Dosierungen, relativ kurzen Applikationszeiten und dem recht geringen Risiko akuter Nebenwirkungen (Paravasate, Akutreaktionen) kein großes Problem dar und ist somit im ambulanten Setting eher von Vorteil. Problematisch kann, besonders bei Kombinationstherapien, das rechtzeitige Erkennen und sachgerechte Behandeln von Nebenwirkungen sein. Gerade manche Nebenwirkungen wie z.B. Durchfall können bei der Therapie des metastasierten Nierenzellkarzinoms sowohl bei einer TKI-Therapie als auch bei einer Therapie mit einem Checkpoint-Inhibitor auftreten. Hier ist ein möglichst rasches Erkennen des verursachenden Medikamentes und die entsprechende Behandlung von großer Wichtigkeit. Da aber solche Nebenwirkungen im Vergleich zu anderen onkologischen Therapien zumeist eher selten sind, sollte dies grundsätzlich kein Grund sein entsprechende Therapiekonzepte in der urologischen Praxis nicht anzuwenden. Neben einer regelmäßigen Befragung nach gezielten immuntherapiebedingten Beschwerden sollten regelhaft auch entsprechende Blutuntersuchungen erfolgen. Daneben erscheint es sinnvoll noch vor Einsatz von Immuntherapeutika Kontakt mit anderen Organspezialisten (z.B. Endokrinologen, Pulmologen Gastro-Enterologen u.a.) aufzunehmen um dann bei einem auftretenden Problem oder einer jeweiligen Fragestellung schnell mit dem entsprechenden Kollegen zwecks Rückfrage Kontakt aufzunehmen oder gegebenenfalls den entsprechenden Patienten kurzfristig vorzustellen.
Der Einsatz von Immunmodulatoren stellt also zusammengefasst kein grundsätzliches Problem in der urologischen Praxis dar. Bei möglichweise weiter zunehmenden Indikationen im Bereich der Uro-Onkologie und den für die Durchführung der Therapie notwendigen logistischen Anforderungen und Erfahrungen wird dies möglicherweise auch im Bereich der ambulanten Urologie eine gewisse „Spezialisierung“ zur Folge haben.
Dr. Ute Seeland, Institut für Geschlechterforschung in der Medizin, Charité-Universitätsmedizin Berlin
Gendermedizin: Gibt es weibliche und männliche Tumoren? Oder gibt es Tumoren bei Frauen und Männern?
Einleitung
Die Gendermedizin versteht sich als Wissenschaft, die sich zum Ziel gesetzt hat die Qualität in der medizinischen Versorgung von Frauen und Männern zu verbessern. Die Erforschung sowohl der biologischen Geschlechterunterschiede als auch die Berücksichtigung der interagierenden soziokulturellen Unterschiede bei der Entstehung von Gesundheit und Krankheit sind Gegenstand einer geschlechtersensiblen Forschung.
Die Urologie wird oft als Männerheilkunde angesehen, doch sitzen im Wartezimmer 50% Frauen, so dass auch in dieser Disziplin die Wahrnehmung von Geschlechterunterschieden zu einer besseren medizinischen Versorgung von Frauen und Männern führen wird. Die bereits vorhandenen Kenntnisse zu Geschlechterunterschieden bei der urologischen Versorgung im Rahmen transsexueller Fragestellungen können möglicherweise dazu beitragen, dass Urologinnen und Urologen schneller bereit sind die Geschlechterunterschiede auch bei Menschen mit Harnwegsinfekten und Nierenzellkarzinomen z.B wahr zu nehmen.
Allein schon die Kenntnis der unterschiedlichen Körperzusammensetzung bei Frauen und Männern bzgl. der metabolisch aktiven, fettfreien Körpermasse sollte nicht unterschätzt werden: Bei einem Mann und einer Frau mit gleichem Gewicht und gleicher Größe macht die metabolisch aktive, fettfreie Körpermasse ca 80% des BMI beim Mann und nur 65% des BMI bei der Frau aus. Oft wird bei einer auf der Körperoberfläche- basierenden Dosierung einer Chemotherapie dieses nicht berücksichtigt.
Tumoren bei Frauen und Männern
Dass die Zahl der Krebsneuerkrankungen bei Frauen und Männern von 2004 bis 2014, vor allem bedingt durch die Zunahme älterer Menschen, zugenommen hat und dass es Tumoren gibt die häufiger bei Frauen entstehen und andere bei Männern ist hinlänglich bekannt. Interessant für gendermedizinische Forschungsansätze ist allerdings die Verteilung der Sexualhomon-abhängigen Tumoren und derer, die durch bestimmte Verhaltensweisen und Umweltbedingungen ausgelöst werden wie z.B. Rauchen. Frauen sind nach wie vor am häufigsten von Brustkrebs (ca. 69.200) betroffen, Männer am häufigsten von Prostatakrebs (ca. 57.400), gefolgt von Dickdarm- und Lungenkrebs bei beiden Geschlechtern. Geschlechtersensible Aufklärungsmaßnahmen und therapeutische Ansätze müssten zu einem besseren Outcome bei beiden Geschlechtern führen. Tatsächlich ist es so, dass altersstandardisiert bei Männern ein Rückgang um 10 %, bei Frauen allerdings ein Anstieg von 3 % der Krebsneuerkrankungen zu erkennen ist (RKI 2014). Eine interessante Ausganglage, die vermehrt dazu führen sollte, sich die regionalen Krebstodesfälle anzusehen, denn diese können sehr unterschiedlich sein im Vergleich zum Bundesdurchschnitt, der vom RKI berechnet wird und oft in Publikationen zitiert. Ein Beispiel sind die Tabak-assoziierten Krebserkrankungen wie Speiseröhre-, Lunge- und Lippe-Mund-Rachen, die in Berlin sehr viel häufiger bei Frauen aufgetreten sind als bei Männern in Relation zum Durchschnitt aller gesetzlich Krankenversicherten aller Bundesländer (Krebsatlas Berlin 2002-2004). Diese deskriptiven Statistiken sind hilfreich, um regionale geschlechtsspezifische Präventionsprogramme anzubieten und weisen möglicherweise auf nicht bekannte Ursachen hin.
Weibliche und männliche Tumoren
Die systembiologische Erklärung beginnt mit dem SRY Gen auf dem Y-Chromosom. Dieses ist ursächlich für die gonadalen biologischen GU mit den „organisierenden“ Hormoneffekten und den „Aktivierungseffekten“, die zu der unterschiedlichen Entwicklung z.B. der Genitalien und des Gehirns führen. Genauso wichtig und bisher in der medizinischen Grundlagenforschung größtenteils ignoriert sind die direkten Effekte der Geschlechtschromosomen in der Zelle. XX und XY – Zellen unterscheiden sich! Wenn dieses bei der Planung, Durchführung und Interpretation der Ergebnisse nicht berücksichtigt wird, werden wir keine Klarheit über pathophysiologische zusammenhänge bekommen und alle weiteren Entwicklungen, die auf diesen Grundlagen beruhen werden immer einen Bias haben. In der praktischen Anwendung sehen wir dieses bei den häufigeren Nebenwirkungen bei der Verwendung von den gleichen Arzneimitteln in gleicher Dosierung bei Frauen im Vergleich zu Männern.
Die Regulation des Immunsystems ist eng verbunden mit der Entstehung von Tumorerkrankungen. So unterschiedlich wie die einzelnen Immunzellen unter dem Einfluss der Sexualhormone arbeiten, so abhängig vom Geschlecht sind auch die weiteren Determinanten, die zu Störungen des Immunsystems wie der Autoimmunität und der gestörten Abwehr von Tumorzellen führen. Forschungsansätze gibt es auf der Ebene der Epigenetik, der Verteilung der Hormonrezeptoren auf den Erfolgsorganen, der geschlechtertypischen Vulnerabilität gegenüber bestimmen Darmerregern (Metagenom/Mikrobiom), dem Phänomen des Mikrochimärismus, der X-chromosomalen Polymorphismen, der X-Monosomie und insbesondere der X-Inaktivierung.
Das X-Chromosom spielt eine nicht zu unterschätzende Rolle für die Funktion der Zellen. Im Vergleich zum Y-Chromosom ist das X-Chr. sehr viel größer und besitzt viel mehr Genorte. Die meisten kodieren für immunologisch wirksame Eiweiße und die epigenetische Ausstattung ist viel umfangreicher mit 118 microRNAs vs. 2 auf dem Y – Chromosom. Autosomen haben im Vergleich ca 40-50 microRNAs.
In der Regel sollte das Phänomen der X-Inaktivierung die weibliche und männliche Genexpression theoretisch wieder ins Gleichgewicht bringen. Dies ist jedoch nicht immer der Fall, da bis zu 15% der X-Chromosom-gebundenen Gene der X-chromosom-Inaktivierung (XCI) entgehen. Diese Escaper führen bei weiblichen Zellen zum Vorhandensein einer zweiten funktionellen Kopie dieser Gene und zu einem signifikanten Vorteil dadurch, dass Genmutationen ausgeglichen werden können, die zur Krebsentstehung beitragen könnten. Unter den Escaper-Genen gibt es Tumorsuppressoren (ATRX, CNKSR2, DDX3X, KDM5C, KDM6A und MAGEC3), die bei Männern in signifikantem Maße mit Krebs assoziiert sind. Die weiblichen Zellen können somit durch eine zweiten „gesunden“ Kopie des „Escaper Gens“ vor den negativen Auswirkungen der mutierten Kopie geschützt werden. [Dunford A, et al. Tumor-suppressor genes that escape from Xinactivation contribute to cancer sex bias. Nat Genet. 2017;49:10–16]
Allerdings hält dieser „XC Inaktivität-vermittelte Schutz“ nicht ein Leben lang. Ab dem mittleren Alter (ca. 55 Jahre) tritt ein Phänomen der altersbedingten vorzeitigen Inaktivierung eines X-Chromosoms auf. Diese „XCI-Verschiebung“ kann zur Expression schädlicher Allele und damit zu einem erhöhten Morbiditätsrisiko führen. Tatsächlich haben Frauen, die langlebige Eltern haben, eine geringere „XCI-Verschiebung“ und eine geringere Prävalenz mehrerer Krankheiten wie Herz-Kreislauf-, Skelett-, Atemwegs-, neurologische und Krebserkrankungen im Vergleich zu den geborenen Altersgenossinnen von nicht langlebigen Eltern zu entwickeln.
Andererseits ist das Vorhandensein von nicht-inaktivierten X-chromosomalen Allelen bei Frauen nicht nur ein Schutz vor Krankheiten, sondern ist auch mit immunologischen Störungen verbunden, einschließlich der Autoimmunerkrankungen. [Carè A …Malorni W. Sex disparity in cancer: roles of microRNAs and related functional players. Cell Death Differ. 2018 Mar;25:477-485]
Klinische Relevanz
Von der Kindheit bis ins hohe Alter wirkt das weibliche Immunsystem stärker und wirkt effizienter infektiösen und nicht infektiösen Erkrankungen entgegen, einschließlich Krebs. [Klein SL, Flanagan KL. Sex differences in immune responses. Nat Rev Immunol. 2016;16:626–38.] Dieser Vorteil bei Frauen kann auch nachteilig sein, da die geschlechterabhängige Funktion des Immunsystems zu Autoimmun-erkrankungen führen kann. In diesem Zusammenhang wurde die Rolle des Geschlechts mit der PD-1-Modulation auffällig. Bei Patient*innen mit Melanom führte die Hemmung der PD-1 / PD-L1-Wechselwirkung zu einer mittleren objektiven Ansprechrate bei Männern von 54,6% und bei Frauen von nur 33,1%. Das mittlere progressionsfreie Überleben war mit 18 Monaten gegenüber 5,5 Monaten signifikant besser bei den Männern. [Zhou C et al. PD-L1 expression as poor prognostic factor in patients with nonsquamous non-small cell lung cancer. Oncotarget. 2017;8:58457–68]
Diese Daten ließen schon vermuten, dass Frauen weniger gut von Checkpoint-Inhibitoren profitieren als Männer. Diese neuen, viel versprechenden Antikörper-vermittelten Checkpoint-Inhibitoren werden auch in der nephrologischen und urologischen Onkologie eingesetzt. Im Jahr 2018 wurde eine Metaanalyse veröffentlicht, die 11.351 Patient*innen mit Melanom und nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom + Checkpoint- Inhibitoren (ipilimumab, tremelimumab, nivolumab, pembrolizumab) untersuchte. Es wurden 67% Männer und 33% Frauen eingeschlossen. Die Mortalität im Geschlechtervergleich war signifikant unterschiedliche mit einem p=0,0019 bei einer Hazard Ratio von 0,72 (95%CI 0,65-0,79) bei den Männern und HR 0,86 (95%CI 0,79-0,93) bei den Frauen. [Conforti F et al. Lancet Oncol 2018; 19: 737-746]
Aus Sicht der Gendermedizin ist daher zu fordern, dass nicht weiter der Geschlechtsdimorphismus bezüglich der Reaktionen des Immunsystems ignoriert wird und
- alternative Immuntherapie-Strategien abhängig vom Geschlecht entwickelt werden
- eine ausreichende Repräsentanz von Frauen in den Studien gewährleistet wird und
- falsche Schlussfolgerungen aus überwiegend mit Männern erzielten Ergebnissen oder gemischten Gruppen vermieden werden.
Männer und Frauen sollten nicht mehr als Untergruppen in den Studien betrachtet werden, sondern als biologisch unterschiedliche Gruppen.
Die Geschlechteraspekte in der Uroonkologie betreffen z.B. auch die Urothelkarzinome. Frauen leiden sehr viel häufiger unter Harnweginfekten, so dass Veränderungen im Urin aus diagnostischer Sicht oft lange Zeit rezidivierenden Harnwegsinfekten zugeordnet werden, so dass die Krebsdiagnose erst später gestellt wird. Obwohl die Inzidenz des Harnblasenkarzinoms beim Mann etwa vierfach höher liegt ist die Prognose beim Harnblasenkarzinom für die Frau ungünstiger. Möglicherweise liegt der Unterschied zusätzlich im Effekt des Rauchens, da Frauen gegenüber der Noxe Tabak empfindlicher reagieren und aggressivere Tumoren ausbilden. Während strahlentherapeutische Serien einen Nachteil für Patientinnen zeigen, gleichen sich die Ergebnisse von Frauen und Männern in neueren Zystektomie-Studien an. Bei der Harnableitung bestehen jedoch unterschiedliche Bedürfnisse, welche in die urologische Therapieplanung eingehen müssen.
Die beschriebenen biologischen GU sind letztendlich wiederum nur ein Teil der Erklärung für die GU bei urologischen Erkrankungen, der Tumorentstehung, dem Verlauf und der Prognose. Bis es möglich sein wird eine vollständig individualisierte Therapie allen Menschen anzubieten, sollte doch jetzt die Beachtung der GU in die Routine übergehen. Eine Tumortherapie schließt immer vielfältige therapeutische Ansätze in das Gesamtkonzept ein. Denken Sie an die kulturell bedingten unterschiedlichen Expositionen gegenüber Schadstoffen wie Noxen aus dem Arbeitsumfeld und allen voran der Tabakabusus. Kommunikation im Sinne von „health literacy“ und Zugang zu medizinischer Versorgung sind weitere Themen mit denen sich die Gendermedizin beschäftigt, um den unterschiedlichen Umgang mit Symptomen zu verstehen, gerade denn, wenn der späte Zeitpunkt der Erstvorstellung in einer ärztlichen Praxis, einen Einfluss auf Zeitpunkt der Diagnose, Compliance und letztlich Ergebnis der Therapie haben kann.
Prof. Dr. Kobold, München: Cancer cells induce interleukin-22 production from memory CD4+ T cells via interleukin-1 to promote tumor growth
Zusammenfassung des Vortrages von Univ.-Prof. Dr. med. Sebastian Kobold, anlässlich der Preisverleihung des Clinical Science Award 2019 der DGFIT.Das Immunsystem nimmt eine zentrale Rolle in der Kontrolle von Krebserkrankungen ein. Ab der Entstehung der bösartigen Zelle interagieren Immun- und Krebszellen. Kommt es zum Entstehen einer klinischen Krebserkrankung hat das Immunsystem in dieser Aufgabe versagt. Erkenntnisse neuerer Jahre haben belegt, dass dieser Zustand wieder medikamentös umgekehrt werden kann. Dies bedeutet, dass eine Reaktivierung von Immunzellen gegen Krebszellen therapeutisch sein kann. Ein weniger bekannter und verstandener Umstand ist, dass das Immunsystem auch Krebsfördernd sein kann. Der Botenstoff Interleukin-22 nimmt dabei möglicher Weise eine besondere Rolle ein. Zahlreiche Arbeiten belegen die Tumor-fördernde Wirkung von IL-22 einerseits und Assoziation mit einer schlechten Prognose in den meisten Krebsentitäten. Unklar war bislang wie Krebszellen die Produktion dieses wichtigen Botenstoffes fördern und welche Zellen es im Tumorgewebe produzieren. In einer in Proceedings of the National Academy of Science veröffentlichten Arbeit konnten wir diesen Mechanismus nun entschlüsseln. Wir konnten belegen, dass Krebszellen über „Fresszellen“ weitere Botenstoffe freisetzten, die Immunzellen, sogenannte T-Zellen zur Produktion von IL-22 beitragen. Schaltet man diese Zwischenbotenstoffe aus, wird die IL-22-Produktion gesenkt und konsekutiv das Tumorwachstum in präklinischen Modellen reduziert. In Lungen- und Brustkrebspatienten konnten wir eine substantielle Anzahl solcher T-Zellen nachweisen. Unsere Arbeit legt die Basis für medikamentöse Interventionen, die die IL-22-Produktion beeinträchtigen sollen. Solche Strategien müssen in präklinischen und auch klinischen Studien weiter untersucht werden.